Ungarn

Zsofia kocht Letscho

Zsofia Torma, 29, aus Budapest, dort hat sie Geschichte und Politikwissenschaften studiert. Seit 2011 wohnt sie in Rostock, vor kurzem hat sie eine Stelle als Projektkoordinatorin angenommen bei dem gleichen Verein, wo auch ich arbeite. Nach einigen Überredungskünsten willigt sie ein, Letscho zu kochen...

Letscho ist das typisch ungarische Gericht und es gibt vielerlei Varianten der Zubereitung. Bei ihrer Oma wurde Letscho immer mit Schmalz gemacht, erzählt Zsofia. Sie selber bevorzugt mittlerweile aber Olivenöl. Darin werden zuerst die Zwiebeln angebraten. Sobald sie eine goldige Farbe erreicht haben, werden die in Ringe oder Streifen geschnittenen Paprikaschoten hinzugefügt . Zuletzt kommen die Tomaten mit in den Topf. Einen Schluck Wasser hinzugeben, so dass das Gemüse köchelt. Nun werden die Eier aufgeschlagen und unter das Gemüse gerührt. Das Gericht gut mit Paprika, Pfeffer, Salz und Zucker würzen. Zum Schluss die Würstchen klein schneiden und mit in den Topf geben. Ist das Gemüse gar (ca. nach 20-30 Minuten), das Letscho vom Herd nehmen und mit frischen Brötchen oder Nudeln essen.

Zutaten: 6 weiße Spitzpaprika • 6 Tomaten • 2 Zwiebeln • 2 Eier • Olivenöl  • Pfeffer • Salz • Zucker • 5 TL Paprika edelsüß (am besten aus Ungarn) • 2 Wiener Würstchen

"Zu Hause ist, wo deine Freunde sind."

Über Zsofia weiß ich bisher, dass sie sehr nett ist, eine Ungarin aus Budapest, gerne Kaffee trinkt und ich gerne mehr über sie erfahren möchte. Wir treffen uns in ihrer Wohnung in der KTV auf einen Espresso und ein spannendes Gespräch:

Bist du in Budapest geboren und hast dort an sich immer gelebt?

Nein, nicht in Budapest, ich bin in Pécs geboren, also die Stadt liegt im Süden, die kroatische Grenze liegt ganz in der Nähe, also 30 km und kannst du schon in Kroatien sein. Aber mein Papa hat in Budapest gearbeitet und ich habe mich immer wohl in Pécs gefühlt, aber Pécs ist so groß wie Rostock. Eine Universitätsstadt, eine sehr sehr hübsche Stadt, sehr sehr warm, das muss ich sagen, 36-38° manchmal im Julei oder im August. Aber ich wolltee immer nach Budapest. Die Stadt ist einfach meine Liebe, meine ewige Liebe.

Bist du dann als Studentin nach Budapest gegangen?

Ja, als Studentin. (Zsofia hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert). Es war eine sehr sehr schöne Zeit. Pécs ist auch wichtig für mich, es ist meine Heimatstadt, aber ich fühle mich wohler, wenn ich in Budapest bin. Wenn ich die Donau sehe, die Brücken, die Burg,… - dann hab ich das Gefühl, dass ich zu Hause bin.

2008 hab ich dann ein Stipendium bekommen für Erasmus, das ist ziemlich populär. Ich find das total cool, dass man die Möglichkeit hat, ins Ausland zu gehen und so euer Vaterland – das ist auch witzig, in Ungarn sagen wir Mutterland – kennenzulernen und die wunderschöne deutsches Sprache zu beherrschen. Also hab ich ein Jahr in Köln studiert.

Warum gerade Deutschland?

Meine erste Fremdsprache war Deutsch.

Das ist ungewöhnlich, lernt man nicht meistens zuerst Englisch?

Ja, Englisch oder Deutsch. Meine Familie wollte es aber so: „Ja, Zsofia, fangen wir erst mit Deutsch an, weil das viel schwieriger ist - dann mit Englisch.“ Und mein Onkel lebt auch hier in Deutschland, in Bayern. Der Onkel meines Vaters auch, also hatten wir schon Beziehungen. Als ich noch ein kleines Kind war, war ich mehrmals in Deutschland. Es hat mir gefallen, einfach das Land. Natürlich, es ist viel reicher, sieht besser aus,.. . Obwohl ich Ungarn total mag, es ist meine Heimat.

Was genau sieht besser aus?

Die Infrastruktur, die Straßen sind sauberer, die Mentalität: die Menschen sind ein bisschen ruhiger, nicht so hektisch. Ich bin ja auch ein bisschen hektisch manchmal (lacht). Ja, für mich als Kind war das einfach viel schöner als bei uns. Und dann gab es natürlich Haribo und Milka. Meine Güte, ich war total begeistert! Es hat mir einfach gefallen.

Nach dem Erasmusjahr, wie ging es da weiter?

Ich musste nach Hause fahren, um mein Staatsexamen zu absolvieren. Das hab ich gemacht und es hat gut geklappt. Es war eine sehr sehr schöne Zeit, eigentlich die schönste Zeit in meinem Leben. Ich hab in der Prüfungszeit ein bisschen gelernt aber außerdem waren da Freunde, Liebe, Partys,…  Ich war eine ziemlich große Partymaus. Also das Leben als Studentin war einfach super. Außerdem habe ich zum Glück eine sehr sehr gute Familie und sie haben mich immer unterstützt, das war ein gutes Gefühl. Das habe ich irgendwie in Rostock verloren, weil ich hier ganz alleine bin. Die Beziehungen habe ich natürlich noch, aber die Unterstützung…  ich muss alleine zurechtkommen. Ich hab nie, vielleicht einmal meiner Mama geschrieben, dass ich Geld brauche, aber das war keine große Summe. Sonst komme ich alleine zurecht. Dafür muss ich manchmal komische Jobs machen, die ich nicht mag, aber Arbeit ist Arbeit. Trotzdem: wenn du schon studiert hast und du hast dir Mühe gegeben und du hast es gut gemacht und du bist eine ausgebildete Lehrerein und du könntest wirklich gute Leistungen bringen, aber du hast einfach nicht die Möglichkeit dazu - dann hilft es nicht, sich zu sagen: Arbeit ist Arbeit. (Zsofias Diplom wurde hier in Deutschland immer noch nicht anerkannt, obwohl sie lange dafür gekämpft hat.)

Du hast dein Staatsexamen in Ungarn gemacht, wie kam es dann dazu, dass du wieder zurückgegangen bist nach Deutschland?

Ich hab keinen richtigen Job zu Hause gefunden. Ich war als Praktikantin Programmredakteurin in Budapest für eine Fernsehsendung ähnlich wie CNN. Das war cool. Drei Monate lang hatte ich diese Stelle aber ich habe leider keinen festen Vertrag bekommen und wieder waren es also die Finanzen. Sie konnten mich nicht bezahlen, also als Praktikantin habe ich kein Geld gekriegt. Es war wirklich eine gute Möglichkeit, normalerweise brauchst du Beziehungen, wenn du eine solche Praktikumsstelle bekommen möchtest. Aber Geld hab ich nicht gekriegt und ohne geht es leider nicht. Es ist wieder wieder wieder das Geld.

Hast du dann einen Job hier in Deutschland angeboten bekommen?

Nein, aber eine Freundin von mir hat mir vom europäischen Freiwilligendienst erzählt und sagte: "Zsofia, guck dir das mal an mal, du könntest vielleicht wieder nach Deutschland fahren." Ja und so habe ich mich beworben, nicht nur hier in Rostock sondern überall. Ich hab ca. 20 - und 30 Bewerbungen abgeschickt. Nach Rostock, nach München, nach Stuttgart, nach Köln. Ja, und hier in Rostock bei der DUG (Deutsch-Ungarische Gesellschaft) habe ich einen Platz bekommen. Am 03. Oktober 2011, ich erinnere mich gut, das ist der Wiedervereinigungstag, bin ich von Budapest nach Rostock gefahren und habe mein neues Leben begonnen. Der Freiwilligendienst war super. Ich habe so gute Leute kennengelernt: ungarische Freunde, deutsche Freunde.

Nach dem Freiwilligendienst war es ganz schwierig. Als Freiwillige hast du ein Taschengeld bekommen, ein Monatsticket, Geld für die Verpflegung, die Unterkunft. Und dann, fragte ich mich – okay, was tust du jetzt nach dem Freiwilligendienst? Du kriegst kein Geld mehr, aber du möchtest hier in Rostock bleiben. Das war nicht einfach.

Aber du wusstest, dass du hierbleiben möchtest?

Ja. Das wusste ich, aber wie und wie lange und überhaupt, das wusste ich nicht. Das weiß ich noch immer nicht. Wenn mich jemand fragt: „Wie lange willst du hier bleiben?“, kann ich die Frage nicht beantworten.

Kannst du drei Dinge benennen, die du hier am meisten vermisst?

Das hört sich vielleicht ein bisschen komisch an, aber – das Nachtleben. Nicht unbedingt die großen Partys, aber Budapest hat ein einzigartiges Nachtleben, diese kleinen Kneipen. Die Straßen, die sind viel größer und die Gebäude und die Stimmung, die Atmosphäre,… Das vermisse ich sehr und die Freunde natürlich. Rostock ist manchmal zu ruhig. Okay, hier in der KTV gibt es auch gute Kneipen, aber es ist ein bisschen anders.

Kannst du auch drei Dinge benennen, die du an Rostock magst?

Ja, Warnemünde, nein, lieber den Stadthafen. In Warnemünde bin ich selten, aber trotzdem finde ich es superschön.  Dann die Grillsaison. Sowas haben wir nicht in Budapest, bei uns ist das verboten. Hier ist es ganz locker, du nimmst deinen Grill mit und du kannst überall grillen und Bier trinken, das ist bei uns auch verboten, du darfst nicht in der Straßenbahn oder überhaupt rauchen oder Alkohol trinken.  Die Sommerzeit finde ich schön, mit den Freunden. Den Weihnachtsmarkt finde ich wunderschön. Ja, nur die Stadt könnte ein bisschen größer sein.

Also lag es, dass du hiergeblieben bist, hauptsächlich daran, dass du bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hast als in Ungarn?

Um es einfach zu sagen: ja. Und das ist nicht gut, natürlich. Ich würde lieber in meiner Heimat arbeiten, für meine Heimat, für meine Nation. Ich bin nicht der Typ, der ins Ausland fährt und sagt: „Ich gehe nie wieder zurück. Ungarn ist scheiße und die Möglichkeiten sind scheiße.“ – Das habe ich schon mehrmals gehört von anderen Freunden, die in Österreich oder in London sind. Und: „Ich würde nie wieder nach Hause fahren, weil die Regierung und die Politik,…!“ Nein. So bin ich nicht. Meine Familie lebt in Ungarn, ich bin eine Ungarin.

Würdest dich auch als Ungarin definieren?

Ja, natürlich. Heutzutage hört sich das manchmal nicht so gut an, ich weiß. Es liegt irgendwo in Osteuropa (lacht). Das sind Klischees, aber ich habe sie schon mehrmals gehört. Wir sind ein kleines, ganz ganz kleines Land und unsere Geschichte war schwierig.

Wo du gerade von Klischees redest, würdest du sagen, du begegnest hier vielen Vorurteilen?

Nein, ich habe hier eigentlich ganz gute Erfahrungen gemacht - obwohl wir in Norddeutschland sind.

Was heißt das genau?

Ich habe nur gehört, dass die Menschen hier nicht so offen sind wie z.B. in NRW oder in Bayern. Da seien die Leute viel lustiger und viel offener mit den Ausländern.

Das ist aber mehr etwas, was du gehört hast, nicht selber erlebt hast? Du warst ja selbst in Köln...

Das habe ich nicht erlebt. Das muss ich sagen.

Und gibt es Unterschiede zwischen Ungarn und Deutschen?

Ja, die Deutschen die sind pünktlicher. Das System funktioniert im Allgemeinen besser als bei uns, z.B. das Sozialversicherungssystem oder die Steuerklassen. Die verstehe ich in Ungarn nicht. Die Bürokratie in Ungarn ist ein bisschen chaotisch, das ärgert mich, wenn ich zu Hause bin. Und ein Klischee, aber: hier kann man besser verdienen.

Und vom Menschentyp her, vom Charakter, würdest du sagen, dass Deutsche und Ungarn sich ähneln?

Auch nicht. Nein, das würde ich nicht sagen. Ähnlichkeiten, ja okay, vielleicht haben wir die, aber: Nein. Also lieber nicht!

Was macht den Unterschied aus?

Das geht wieder um die Geschichte… Wir sind so pessimistisch. Ihr nicht. Wir sind so negativ. Wenn etwas Gutes passiert, sind wir trotzdem negativ. Wir gucken immer auf die negative Seite, ihr nicht. Wir lachen nicht so viel, wir weinen ganz viel. Wir essen, trinken und weinen. In der Reihenfolge. So machen wir das in Ungarn.

Außerdem das Gefühl, dass ich in Sicherheit bin, das habe ich nicht immer in Budapest. Ich habe keine Zukunftssicherheit. Dass ich einen guten Job bekommen kann, dass ich gutes Geld verdienen kann. Die Beziehungen sind bei uns in Ungarn ziemlich wichtig. Das ist wahrscheinlich überall auf der Welt so, aber in Ungarn, wenn du keine Beziehungen - ich sage immer:  keinen Onkel Sam hast, dann hast du keine Chance. Natürlich ist es nicht immer so, aber oft: Wenn du jemanden kennst, der oder die noch jemanden kennt, der oder die noch jemanden kennt, dann kannst du die Stelle haben.

Stichpunkt Beziehungen: Ich habe bisher häufiger gehört, dass es schwer sei, hier in Rostock neue Leute kennenzulernen. Empfindest du das auch so?

Einmal hängt es von mir ab. Wenn ich zu Hause bin, kann ich keine neuen Beziehungen aufbauen. Nur mit Pflanzen. Oder mit einer Katze. Es ist ein bisschen problematisch, das kann ich bestätigen. Es geht wieder um die Mentalität... Ich kann nicht alleine in die Kneipe gehen und sagen: „Hallo ich suche neue Freunde“

Ist das in Ungarn so?

Nein, in Ungarn auch nicht, aber da habe ich Freunde. Hier in Rostock habe ich zwar auch gute Freunde, vier, fünf, die wirklich meine Freunde sind, aber sie sind ein bisschen anders als ich. Es ist auch immer unterschiedlich, was wir unter „Freund“ verstehen. Wir haben auch deutsche Freunde, aber mit ihnen treffen wir uns nicht so oft.

Deine Freunde sind hauptsächlich Migranten?

Sie sind aus Ungarn und das ist auch nicht gut. Integration ist wichtig. Die deutschen Freunde sind nicht ganz so enge Freunde, ich mag sie total und sie sind sehr offen. Sie sind aber auch ein bisschen kalt. Das sagen wir immer: die Deutschen sind ein bisschen kalt. Aber auch das ist ein Klischee.

Als wie wichtig würdest du die Sprache einschätzen, um Freundschaften zu schließen?

Ganz wichtig. Die Sprache ist der Schlüssel. Das ist einfach so. Wenn jemand nach Deutschland kommt, muss er die deutsche Sprache lernen. Das geht nicht, dass du hier bist und du keine Lust oder Zeit hast oder schon zu alt bist. Es ist nie zu spät. Du musst die Sprache gut beherrschen und dann bekommst du neue Möglichkeiten, neue Freunde, vielleicht einen neuen, einen besseren Job - nicht Zeitungen austragen oder in der Gastronomie als Putzfrau arbeiten.

Meinst du, dass das tatsächlich nur mit der Sprache zu tun hat oder meinst du nicht, dass auch bei einem gleichen Abschluss, wenn du sehr gut Deutsch sprichst, es für Ausländer trotzdem ungleich schwerer ist, an einen guten Job zu kommen als für einen Deutschen?

Ja, es ist noch so.

Du hast studiert, du hast ein Diplom und trotzdem hast du dich die letzten zwei Jahre mehr mit Nebenjobs rumgeschlagen.

Ja, für mich ist es immer noch schwieriger. Ich kann euch auch verstehen. Es ist eure Heimat. Gleichstelleung und gleiche Rechte sind wichtig, aber trotzdem…

Was sind deine Zukunftswünsche?

Ganz einfache Dinge eigentlich: eine Familie, ein Mann (lacht). Also Liebe, gute Arbeit, Gesundheit, wirklich ganz ganz einfache Dinge. Aber diese Dinge zu erreichen, ist manchmal nicht einfach, sondern ganz schwierig.  Und ja, einfach erfolgreich in meiner Arbeit sein. (Zsofia hat vor kurzem eine Stelle als Projektkoordinatorin bekommen, die sie sich sehr gewünscht hatte). Ich möchte mein bestes geben und ich bin sehr sehr dankbar. Ein paar Sachen sind natürlich neu für mich und ich muss noch sehr viel lernen. Ich muss mich entwickeln.

Wie müsste Ungarn sich entwicklen, damit du zurückwollen würdet?

Für mich wäre eins ganz wichtig: wenn ich nach Hause fahre, muss ich einen guten Job haben. Ich muss alleine zurechtkommen können. Nicht mit der Unterstützung von meiner Mama oder meinem Papa. Aber wenn ich jetzt zu Hause bin, ist das immer wie Urlaub für mich. Dann bin ich im Mamahotel.

Was bedeutet Heimat für dich?

Familie und Freunde. Es gibt ein Lied: „Zuhause ist, wo deine Freunde sind“.  Wo meine Freunde und meine Familie sind, das bedeutet für mich Heimat, wo ich mich wohl fühle. Wo ich glücklich bin. Ich möchte einfach glücklich sein, das ist alles.